Donnerstag, 12. Januar 2006

Nach dem heutigen Tag

Ich habe einen sehr schmalen Kleiderschrank, in einem kleinen Zimmer, das ich mir mit einer anderen Person, die ich in eineinhalb Jahren sehr schätzen gelernt habe, teile. In diesem Schrank finden alle Kleidungsstücke Platz, die ich gerne anziehe. Etwas gerne anziehen heißt für mich, dass ich morgens den Schrank öffne, mir beliebige Kleidungsstücke herausnehme und mich nicht im Spiegel anschauen brauche um zu wissen, dass mir mein Aussehen gefällt. Ich habe fast ausschließlich Pullover, die man von Hand waschen muss. Ich habe alle meine Pullover vor kurzem gewaschen und zwar mit Perwoll. Dieses Waschmittel kannte ich vorher nur aus der Werbung. "Neu? Nee, mit Perwoll gewaschen!". Mir war diese Werbung unsympathisch und deswegen werde ich es mir wahrscheinlich auch nicht kaufen. Doch ich hatte die Gelegenheit es zu benutzen, es war auch die einzige Möglichkeit, die ich hatte. Ich finde es riecht gut und die Pullover sind nicht nur sauber sondern auch weich anzufassen. Das mag ich. Ich empfinde frischgewaschene Wäsche auch sehr angenehm. Ich liebe es gerade geduscht zu haben und mit einem frischgewaschenen Schlafanzug in einem frischbezogenen Bett einzuschlafen. Der Geruch ist besser als Parfüm. An der schmalen Tür des schmalen Kleiderschrankes habe ich zwei DIN-A4 Blätter aufgehangen. Darauf stehen insgesamt drei Dinge: ein Spruch, ein Gedicht und ein Gedanke. Ich habe nichts davon verfasst. Ich habe sie nur mit meinem Füller auf Briefpapier geschrieben und mit Tesafilm an die schmale Schranktür gehängt. Sie gefallen mir gut. Dennoch denke ich, dass sie nur dort hängen, weil ich sie durch Zufall entdeckt habe und Zeit und Muse hatte sie abzuschreiben und aufzuhängen. Am Wichtigsten ist aber, dass ich diese Tat für diesen Moment als etwas Besonderes betrachte. Ein Gefühl. In diesem Moment. Ich bin glücklich mit dem was ich tue. Ein schönes Gefühl. Ich weiß, dass ich in diesem Moment nichts sinnvolleres oder wichtigeres machen konnte oder musste. Es sind drei Texte, an deren Stelle tausend andere hängen könnten, tun sie aber nicht. Sind sie etwas Besonderes, weil ich sie dort hängen habe? Ich muss schmunzeln. Wenn Jack London wüsste, dass ich einen Spruch von ihm an der schmalen Tür meines Kleiderschrankes hängen habe. "The proper function of man is to live, not to exist." Wie fühlt man sich als Autor, wenn man weiß, dass viele der 6 Milliarden Menschen auf der Erde seine eigenen Gedanken lesen? Kann es ihm etwas bedeuten, wenn er nicht weiß, wer diese Menschen sind? Ich finde ich muss Menschen kennen, sie beobachten, mit ihnen kommunizieren, um zu wissen, ob mein Buch Bedeutung, weil sie es lesen. Ansonsten unterstelle ich dem Autor, dass er den Akt des Schreibens als erlernbare Kunst versteht, die er sich angeeignet hat und gut genug ist, sie umzusetzen. Mein Problem: Es ist sein gutes Recht. Ich kenne mich: der Konflikt zwischen Verstand und Gefühl, verifizierbarem und nicht verifizierbarem, geprägt und trägem und sich schnell veränderndem. Ich habe noch den Gedanken von Peter Rosegger an der Tür meines schmalen Kleiderschrankes hängen. "Unser Fühlen artet in Denken aus, und das ist unser Ende."
Ich bin jung und lese die FAZ.

Sonntag, 25. Dezember 2005

Die Magie von Ringelnatz

Warten auf Weißnichtwas

Ein Leierkasten wringt sich aus.
Es klingt nach Leben und Sterben.
Im Schutt im Winkel hinterm Haus
Liegen häßliche Scherben.

Am Fenster quält sich ein winziges Tier,
Läuft immer die dieselbe Schleife.
Es klingelt.- Ein Armer bietet mir
Schnürsenkel an. Oder Seife.

Es ist nicht neu und nichts verstellt
An meinen Gegenständen.
Nichts lockt mich hinaus in die Außenwelt.
Nichts hält mich hinter vier Wänden.

Joachim Ringelnatz

Sind Ringelnatz Gedichte nicht schön?

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